Frage: Das Konzept "Smart City" soll Städte nachhaltiger, sauberer und sicherer machen. Welches sind die Voraussetzungen, damit Städten und Regionen diese Transformation gelingt? Und worin bestehen die Hürden?
Katrin Schleife: Zunächst einmal müssen Städte und Regionen ihre eigene, individuelle Vision einer Smart City oder Smart Region entwickeln und ihr Vorgehen daran ausrichten - ohne dabei jedoch das überregionale Umfeld aus dem Blick zu verlieren. Dabei muss man akzeptieren, dass die Strategieumsetzung ein dauerhafter Prozess sein wird. Hier über Digitalisierung zu reden, setzt voraus, dass wir Stadtentwicklung, Mobilität und Zusammenleben komplett neu denken - und, dass wir immer den Menschen im Mittelpunkt sehen, nicht die Technologie.
Ideale Akteure sind dabei Menschen mit offener und flexibler Denkweise, die die Stadt oder Region gut kennen und die den Transformationsprozess gestalten und vorantreiben wollen. Wichtig ist, Bürgerinnen und Bürger sowie weitere wichtige Stakeholder frühzeitig zu involvieren. Über Co-creation-Ansätze, wie sie beispielsweise Fujitsu initiiert, lassen sich die innovativen Ideen kompetenter und leistungsfähiger Partner aus unterschiedlichen Bereichen und mit mal mehr mal weniger technikaffinem Hintergrund zusammenführen.
Die richtigen Mitstreiterinnen und Mitstreiter an einen Tisch zu bekommen und ein Smart City-Ökosystem aufzubauen, stellt jedoch für viele Städte und Regionen eine Herausforderung dar. Hürden können zudem entstehen, weil zumeist mehrere Ämter und Fachbereiche involviert sind - das geht nicht immer ohne Kompetenzgerangel. Oft werden auch wegen des Vergaberechts nur Teilleistungen ausgeschrieben, wodurch Insellösungen entstehen, die nicht ineinandergreifen und keine wirkliche Veränderung bewirken. Und nicht zuletzt muss die Bereitschaft entstehen, eingefahrene Vorgehens- und Denkweisen zu durchbrechen. Dazu zählt etwa auch, jegliche Daten, die im öffentlichen Raum anfallen, allgemein zugänglich und verarbeitbar zu machen - wichtige Stichworte sind hier beispielsweise Open Data, standardisierte Schnittstellen, Datenplattformen und Datenwiederverwendbarkeit. Selbstverständlich unter Einhalten des Datenschutzes!
Frage: Städte und Gemeinden sind keine Startups. Welche Besonderheiten gelten bei der digitalen Transformation im öffentlichen Bereich? Wie kann Fujitsu hier unterstützen?
Katrin Schleife: Die Aufgaben einer Stadtverwaltung reichen von Bildung über öffentliche Sicherheit, Mobilität, soziale Unterstützungsleistungen und Wohnungsbau bis zu Denkmalschutz und vielem mehr. Angesichts dieser Themenvielfalt holen sich die Verantwortlichen oft externe Unterstützung, um mehr Flexibilität, Geschwindigkeit und Offenheit gegenüber der digitalen Transformation an den Tag legen zu können. Eigenschaften also, die gerade Startups oft schon in ihrer DNA haben. In Gesprächen und Workshops finden wir als Fujitsu gemeinsam mit der Stadt heraus, an welchen Stellen kleine innovative Digitalisierungsprojekte bereits innerhalb kurzer Zeit hohe Potenziale bieten, sei es in Sachen Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger, Effizienz, Nachhaltigkeit oder sogar alles zusammen. Dabei bildet die Gesamtstrategie für die Smart City den Rahmen, um ganzheitlich zu denken. Mit unserem Co-creation-Ansatz können wir gemeinsam smarte und flexible Lösungsansätze entwickeln - und hier arbeiten wir übrigens nicht selten mit Startups zusammen! Sind die ersten Erfolge sichtbar, wächst seitens der öffentlichen Verwaltung meistens auch die Bereitschaft, weiterzumachen und auch größere Vorhaben in Angriff zu nehmen.
Auf technologischer Seite sind beispielsweise Data Analytics, KI und quanten-inspiriertes Computing wertvolle Instrumente für konkrete Transformationsvorhaben. Hierzu kann Fujitsu mit einem global verfügbaren Lösungsportfolio aufeinander abgestimmte Bausteine beisteuern und zudem weitere Partner ins Ökosystem einbinden.
Frage: Können Sie ein Beispiel für einen hohen Reifegrad einer Smart City nennen? Worin liegen die Gründe für den frühen Fortschritt?
Katrin Schleife: Unter den Städten mit dem höchsten Reifegrad in Sachen "Smartness" befinden sich vor allem internationale Namen, wie London, Barcelona oder Singapur. So verpflichtete Londons Bürgermeister 2017 Theo Blackwell als ersten Chief Digital Officer, den die Stadt je hatte. Diesem lag die Digitalisierung der öffentlichen Dienste schon lange am Herzen. Seine Schwerpunkte setzt er bis heute auf die konkrete Zusammenarbeit und Vernetzung der Stadtviertel untereinander sowie mit der Digitalwirtschaft, um Erfahrungen auszutauschen und Doppelentwicklungen zu vermeiden. Von zentraler Bedeutung sind für ihn darüber hinaus Themen wie Standardisierung und Datenübertragbarkeit.
Etwa zur gleichen Zeit übernahm in Barcelona Francesca Bria das Amt des Chief Technology and Digital Innovation Officer und trieb die Smart-City-Idee voran. Ihr Fokus lag jedoch auf einem deutlich weniger technologiegetriebenen Ansatz: Aus ihrer Sicht sind die aktive Einbindung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie soziale Aspekte, wie zum Beispiel die Variabilität in der Bevölkerungsstruktur, für eine Smart City besonders wichtig. Bria forcierte während ihrer Amtszeit bis Ende 2019 in Barcelona beispielsweise das Konzept der "Superblocks" - ganze Stadtviertel wurden basierend darauf mittlerweile für den Autoverkehr gesperrt, begrünt und fußgängerfreundlich umgestaltet. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadtviertel können sich dabei aktiv in Entscheidungsprozesse einbringen, beispielsweise wenn es darum geht, wohin von der Umgestaltung betroffene Buslinien umgeleitet und Haltestellen verlegt werden sollen.
So bringen Daten Städte in Bewegung
In solch innovativ agierenden Städten neigen Stadtverwaltungen offenbar eher dazu, neue Technologien in erster Linie als Chance zu sehen, statt als Bedrohung und motivierte Verwaltungsmitarbeiter treiben das Thema voran. Eine weitere Gemeinsamkeit der Vorreiter ist sicherlich die Tatsache, dass diese Städte einen immens hohen Anpassungsdruck haben. Wenn man sich beispielsweise die Verkehrs- und Luftverschmutzungssituation in London und Barcelona anschaut, dann wird schnell klar, dass die Systeme am Limit arbeiten. Entsprechend sind neue, innovative Lösungen gefragt, die die bisherige Autozentriertheit der innerstädtischen Mobilität reduzieren und die Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel effizient und nachhaltig gestalten.
In Deutschland haben beispielsweise Hamburg, München, Leipzig und Berlin große Smart-City-Ambitionen. In Sachen Umsetzung entwickeln sich jedoch einige mittelgroße und kleinere Städte wie Ludwigsburg, Ulm, Bad Hersfeld oder Lemgo bisher oft besser - fallen doch in kleineren Kommunen komplexe Entscheidungswege vielfach weg. Initiale Unterstützung erhalten die Städte, in denen es vorangeht, zumeist von ihren ambitionierten Stadtoberhäuptern - und von Verwaltungsangestellten, die mitziehen. Aber auch lokale Forschungseinrichtungen spielen eine wichtige Rolle sowie aus finanzieller Sicht die Smart-City-Förderprogramme der Länder und des Bundes.
Dr. Katrin Schleife ist bei Fujitsu in Central Europe als IT Consultant und Business Developer Smart City tätig. Als Mitglied des Smart City Teams berät sie Kunden der öffentlichen Verwaltung auf regionaler, städtischer und kommunaler Ebene bei der Entwicklung und Umsetzung von Smart City-Strategien und dem Einsatz entsprechender IT-Lösungen.
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