Höher - schneller - weiter
Supercomputer haben für viele IT-affine Menschen das Image einer reinen Leistungsshow. Welches Supercomputing-Team schafft es mit High-End-Technologien die Benchmarks auf ein neues Rekordhoch zu treiben? Doch der Schein trügt. Die Hochleistungsrechner sind heute eine entscheidende Schlüsseltechnologie, die in Wissenschaft und Wirtschaft eine immer wichtigere Rolle spielt.
Forschungseinrichtungen wie Universitäten, Labore und High Tech Unternehmen nutzen Supercomputer für Simulationen, Datenauswertungen, effiziente Produktionsprozesse und verlässliche Prognosen. Fahreigenschaften von neuen Autos werden heute ebenso mit Superrechnern simuliert wie neue Materialien oder die Entstehung von Sternen. Und Medikamente und Impfstoffe - wie aktuell gegen Covid-19 - können ohne die Hilfe von Supercomputern nicht oder nur viel langsamer entwickelt werden.
Schnelligkeit ist das primäre Ziel der Superrechner. Inzwischen gilt aber auch: Performance ist nicht alles. Denn mit zunehmender Leistung wächst auch der Hunger nach Strom. Heute arbeiten die Hersteller deshalb verstärkt an genügsamen Modellen - die aber trotzdem mehr Tempo machen. Diese beiden Ziele standen auch im Fokus des gemeinsam vom japanischen Forschungsinstitut RIKEN und Fujitsu entwickelten Supercomputers Fugaku.
Mit Fugaku sollte eine vielseitige und einfach zu bedienende Hochleistungsmaschine geschaffen werden, die das Spitzenniveau der schnellsten Rechner der Welt bei niedrigem Stromverbrauch erreicht. Aus Anwendersicht sollte der Superrechner helfen, gesellschaftliche Probleme und wichtige Fragen in Wissenschaft und Technik zu lösen, einschließlich Big Data und KI.
Foto: Fujitsu
Nummer 1 der Top 500
Der neue Superrechner ist nicht vom Himmel gefallen. Fugaku ist der Nachfolger des ebenfalls von Fujitsu und RIKEN entwickelten K Computers, der bereits 2011 der weltschnellste Supercomputer war. Schon damals begannen bei RIKEN Überlegungen, wie ein Nachfolgesystem aussehen müsste. Zwei strategische Kriterien standen dabei im Vordergrund. Erstens sollte für zentrale Anwendungen eine Beschleunigung um etwa den Faktor 100 im Vergleich zum K Computer ermöglicht werden. Zweitens sollte der Nachfolger stromsparend sein und einen Verbrauch von 40 MW nicht überschreiten.
Foto: Fujitsu
Diese Vorgaben ließen sich nach Auffassung von RIKEN und Fujitsu am besten mit einer Fujitsu A64FX CPU lösen. Der Prozessor basiert auf einer ARM-Architektur und verfügt über spezielle Supercomputing-Erweiterungen. Jede CPU beinhaltet 48 CPU-Kerne für Berechnungen und bis zu vier weitere CPU-Kerne für unterstützende Aufgaben wie Input/Output.
Im Mai 2019 wurde der K-Nachfolger auf den Namen "Fugaku" getauft - eine alternative Bezeichnung für Japans höchsten Berg Fuji. Im Laufe des Jahres 2020 wurde Fugaku schrittweise aufgerüstet auf 158.976 Nodes, verteilt auf insgesamt 432 Racks. In diesem Endausbau bringt es der Rechner auf eine Spitzenleistung von etwa 442 PetaFLOPS, das heißt über 4 x 1017 Rechenoperationen pro Sekunde.
Mit diesen Leistungswerten erreichte Fugaku sowohl im Juni als auch im November 2020 Platz Nummer 1 der TOP500-Liste der 500 schnellsten Supercomputer der Welt. Das Kriterium hierfür ist die gemessene Rechenleistung nach den Regeln des LINPACK-Benchmarks. "Fugaku zeigte in allen relevanten Performance-Werten einen deutlichen Abstand zum jeweils Zweitplatzierten", sagt Eric Schnepf, Lead Solution Architect for HPC and AI bei Fujitsu. 2021 soll die produktive Nutzung des kompletten Systems mit 158.976 CPUs aufgenommen werden.
Foto: Fujitsu
Der Siebenmeilenstiefel in Krebsforschung und Meteorologie
Von der beispiellosen Geschwindigkeit des Superrechners profitieren alle Projekte, die viele Daten zu verarbeiten haben. Der Einsatz in der Krebsforschung nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Sie gehört zu den insgesamt 19 maßgeblichen Bereichen des Supercomputer Achievement Acceleration-Programms des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie.
Mit Fugaku konnte an der Tokyo Medical and Dental University (TMDU) die Auswertung von Daten, die einen Zusammenhang zwischen genetischer Disposition und Krebsrisiko anzeigen, deutlich beschleunigt werden. Dank der enormen Kapazität des Fugaku-Supercomputers konnten Wissenschaftler die komplexen Zusammenhänge zwischen genetischer Disposition und Umwelteinflüssen in Hinblick auf das Risiko einer Erkrankung an bestimmten Hautkrebsarten untersuchen. Die Basis bilden dabei Daten von 20.000 Genen.
Die Forscher waren mit Fugaku in der Lage, neuartige Prognosemethoden zu entwickeln, die sich am Vorkommen bestimmter Gene orientieren. Dank der Hochleistungstechnologie konnten die relevanten Daten zügig analysiert und wichtige Einblicke bereits nach Stunden gewonnen werden. Vorher waren selbst beim Einsatz der universitätseigenen Supercomputer Monate erforderlich.
Auch in der Meteorologie hat sich Fugaku bereits bewährt. Um die Genauigkeit der Wettervorhersagen zu verbessern, müssen Unmengen an Beobachtungsdaten eingesetzt und numerische Simulationen mit einem feineren Netz durchgeführt werden. Dazu sind mehr Berechnungen erforderlich, was wiederum größere Datenmengen erzeugt und es für die Forscher schwierig macht, ihre Untersuchungen innerhalb eines realistischen Zeitrahmens abzuschließen.
Simulationen konnten zeigen, dass sich mit Fugaku Wettervorhersagesysteme in viel größerem Umfang und mit mehr Variationen realisieren lassen. Fugaku hat auch das Potenzial, die Genauigkeit künftiger Wetterprognosen und Vorhersagen zum Klimawandel erheblich zu verbessern.
Turbo für Maschinelles Lernen
Im Bereich KI soll Fugaku die Entwicklung von Machine-Learning-(ML-) Modellen beschleunigen. Spezielle KI-Benchmarks konnten bereits sein Potential bewiesen. Der Benchmark wurde auf Fugaku zusammen mit dem von AIST betriebenen Supercomputersystem "AI-Bridging Cloud Infrastructure" ("ABCI") durchgeführt.
ABCI wurde 2018 als offene und leistungsstarke Computerinfrastruktur für die Entwicklung von Technologien der künstlichen Intelligenz in Japan eingeführt. Seitdem kommt sie in der Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wissenschaft und Regierung sowie von einer Vielzahl von Unternehmen zum Einsatz, um die gesellschaftliche Nutzung von KI-Technologien voranzutreiben
Mit etwa der Hälfte der Rechenressourcen des Systems erreichte ABCI eine 20-mal höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit als andere GPU-Systeme. Das ist die höchste Leistung unter Supercomputern, die auf GPUs basieren - also auf Recheneinheiten, die auf Deep Learning spezialisiert sind. In ähnlicher Weise wurde etwa 1/10 von Fugaku genutzt, um einen Rekord für General-Purpose-CPU-basierte Supercomputer aufzustellen. Hierbei wurde eine 14-mal höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit erreicht als bei anderen CPU-basierten Systemen. "Wir sind zuversichtlich, dass diese Ergebnisse den Weg für den Einsatz von Supercomputern für immer umfangreichere Machine-Learning-Aufgaben ebnen und in Zukunft zu vielen Forschungs- und Entwicklungsprojekten beitragen werden" sagte Fujitsu Executive Director, Naoki Shinjo.
Wertvolle Erkenntnisse für den Kampf gegen COVID-19
Im Kampf gegen das Coronavirus unterstützen Supercomputer die Forschung in mehrerlei Hinsicht: Von der Erstellung eines präzisen Modells des Virus, über die Wirksamkeit bereits vorhandener Therapeutika und Pharmaka bis hin zur Entwicklung von Antikörpern und der Untersuchung von Ausbreitungsszenarien.
Fugaku wurde im Rahmen der Forschung zu COVID-19 unter anderem für Diagnostik, Therapeutika und Simulationen der Virusausbreitung genutzt. Im Rahmen der Strömungssimulationen von Aerosolen wurde mit dem Hochleistungsrechner analysiert, ob und wie genau sich Mundschutz und Abstand auf das Infektionsgeschehen auswirken. Forscher untersuchten dabei auch, wie Masken mit unterschiedlichen Stoffen wie Baumwolle, Polyester und Vliesstoff die Aerosolverbreitung eindämmten.
Masken aus Vliesstoff - das zeigten die Fugaku-Simulationen - schnitten hinsichtlich ihrer Fähigkeit, virusübertragende Atmungstropfen zu blockieren, am besten ab. Die Vliesstoffmasken ließen kaum mehr als 10 Prozent der Tröpfchen mit einem Durchmesser von 20 Mikron oder weniger durch die Spalten zwischen dem Stoff und dem Gesicht entweichen. Aber auch andere Arten von Masken zeigten Wirksamkeit. Schutzmasken aus Polyester oder Baumwolle ließen allerdings bis zu 40 Prozent dieser Tröpfchen durch, da ihre Fasern weiter auseinander liegen als die des Vliesstoffs.
Foto: RIKEN Center for Computational Science